Wir trafen uns als Fremde in Slowenien, um den Triglav zu erklimmen, mit 2.864 Metern der höchste Berg des Landes. Wir lernten uns kennen – jeder die anderen und jeder auch ein neues Stück von sich selbst. Mit jedem Tag fühlten wir uns in der rauhen Bergwelt mehr zuhause und bewegten uns am Ende sicher wie die Bergziegen auch durchs steilste Gelände.
Um 8:00 Uhr morgens treffen sich alle zum ersten Mal auf dem Parkplatz in Trenta, auf dem wir die Woche über umsonst stehen dürfen. Das gegenseitige Beschnuppern ist auch ein Wiedersehen – es sind bekannte Gesichter von vergangenen Touren dabei und die „Neuen“ sind schnell mittendrin. Gut gelaunt und bei strahlend blauem Himmel starten wir noch vor 9:00 Uhr und bewegen uns in ruhigem Tempo bergauf. Anfangs genießen wir noch den Schatten von Bäumen aber je höher wir kommen, desto weniger wird der Schatten und desto majestätischer der Blick auf die steilen Felswände um uns herum. Auf meist entspannt begehbaren Pfaden erreichen wir den höchsten Punkt des Tages, die Luknja Scharte mit 1.806 m. Der Abstieg von dort gestaltet sich schon anspruchsvoller, denn es sind diverse Geröllfelder zu queren, die unsere Schuhe teilweise ganz schön ins Rutschen und uns ganz schön ins Schwitzen bringen. Wie gut, daß kurz vor dem Ziel blitzkalte Pools im Fluss uns zum Baden einladen. Und so erreichen wir nach gut 7 Stunden frisch und munter unser Tagesziel, die Aljazev Hütte. Da diese Hütte noch mit dem Auto erreichbar ist, sind die Preise entsprechend niedrig und das Angebot reichhaltig. Wir genießen die Zeit bis zum Sonnenuntergang auf der Terrasse und lassen es uns gutgehen.
Unser heutiges Tagesziel liegt auf 2332 m schon deutlich höher. Deshalb brechen wir pünktlich um 8:00 Uhr auf und lassen uns vom leichten Nieselregen die Laune nicht verderben. An unserer Badestelle von gestern verlassen wir den Fluss und beginnen den langen Aufstieg. Fast von Anfang an gibt es schöne Kletterstellen und auf dem nassen Fels sind wir entsprechend vorsichtig. Wir bewegen uns durch den geheimnisvoll wirkenden Nebel, machen nur kurze Verschnaufpausen und schrauben uns Stück für Stück den Berg hinauf. Dabei überwinden wir diverse anspruchsvolle Kletterpassagen, alle zuverlässig mit Seilen, Tritten und Pins gesichert. Als die erste Erschöpfung sich breit machen will, ruft der erste „Blau! Ich sehe blauen Himmel!“. Und tatsächlich: durch das dichte Grau-Weiß, das um uns immer mehr in Bewegung geraten ist, lugt ein bißchen Blau. Was für eine Motivation! Und je höher wir kommen, desto mehr Blau sehen wir. Irgendwann stehen wir über den Wolken, fühlen uns fast wie im Himmel und gönnen uns die erste richtige Pause, die wir auch für eine sagenhafte Fotosession nutzen. Bis zu unserer Hütte ist es dann noch ein ganz schön langes Stück – aber die sagenhaften Ausblicke in alle Richtungen entschädigen für die Mühe. Glücklich kommen wir nach sechseinhalb Stunden an und freuen uns diebisch über die Liegestühle, die hier oben nur auf uns zu warten scheinen.
Was hier in Zahlen kurz und einigermaßen harmlos klingt, hat es in sich, denn heute ist unser Gipfeltag. Da die Wettervorhersagen nichts Gutes verheißen, wir auf den Gipfel aber nicht verzichten wollen, starten wir um 05:15 Uhr schon vor dem Sonnenaufgang und bahnen uns mit unseren Stirnlampen erstmal den Weg durch ein nur mäßig markiertes Geröllfeld. Wie so oft, belohnt die Sonne die Frühaufsteher: Durch das fast weiße Karstgestein um uns, ist das Alpenglühen von einem besonders intensiven Rot und erinnert wirklich an glühende Kohlen. Was für ein Moment! Schnell erreichen wir die Dom na Kredarici, von der aus der Aufstieg auf den Gipfel beginnt. Einige andere Wanderer machen hier schon die erste Rast, wir blicken auf die Regenwolken in der Ferne, lassen nur ein paar schwere Sachen aus unseren Rucksäcken hier und beginnen den Aufstieg. Fast jeder Schritt eine spannende Kletterei, wie bisher umsichtig mit Seilen und vielen Pins gesichert. Diese Pins lernen wir heute so richtig lieben, man kann sie als Griff oder Tritt nutzen und der Triglav ist wirklich voll davon. Von den Einheimischen wird er deshalb liebevoll „Stachelschwein“ genannt. Gemeinsam kommen wir oben an und fühlen uns wie glückliche Bergziegen. Wann hat ein Apfel oder ein Butterbrot je so gut geschmeckt wie hier oben, mit all dem Stolz, all der Aussicht, all dem Gipfelglück?! Aber wir müssen ja auch noch wieder absteigen – und in der Ferne sehen wir dunkle Wolken. Deshalb fällt die Pause einigermaßen kurz aus. Und auf dem Abstieg fachsimpeln wir schon wie alte Hasen über unsere bevorzugten Techniken. Wow. Heute ist manch einer von uns über sich hinaus gewachsen. Und zurück an der Hütte genießen wir eine wohlverdiente Rast – die dann noch etwas länger ausfällt als geplant: Ein Gruppenmitglied hat am Morgen Kosmetik und Medikamente in der Hütte vergessen und geht zurück, um sie zu holen. Das wäre eigentlich nicht erwähnenswert, wäre die „Dummheit“ in diesem Falle nicht belohnt worden mit der Sichtung von Steinböckchen in unmittelbarer Nähe. Einer hat sich sogar direkt neben dem Weg zum Ausruhen hingelegt. Gottseidank ist der Weg bei Tageslicht schnell zu begehen und nach nur einer Stunde nehmen wir (mit Kosmetikbeutel) den Weg zu unserem Tagesziel wieder auf und erreichen die Dom Planika gegen 13:15 Uhr. Eine Weile nach uns kommen auch die Wolken dort an und in der Nacht kommt auch der angesagte Regen – wir hatten aber den ganzen Tag strahlend blauen Himmel.
Wir dachten, nach dem Gipfeltag kann es nur noch bergab gehen … weit gefehlt. Dieser Tag bietet uns noch einmal alles, was der Triglav Nationalpark zu bieten hat: fabelhafte Aussichten, weite Karstgebiete, steile Wände – und das ersehnte Edelweiß. Aber der Reihe nach. Als wir pünktlich um 8:00 Uhr starten ist es empfindlich kalt; Mützen, Jacken und Handschuhe kommen zum Einsatz, die wir auf dieser Reise noch nicht gesehen haben. Dank der ausführlichen und umsichtigen Packliste unseres Guides Sabine hat jeder dabei, was er braucht und niemand muß frieren. Und nach der ersten Viertelstunde fängt die Sonne eh an zu heizen und eine Zwiebelschicht nach der anderen landet wieder im Rucksack. Wir durchqueren Kilometer um Kilometer wunderbarer fast reinweißer Karst-Formationen und als die meisten von uns sich schon nach einer ausgiebigen Pause sehnen, zieht Sabine das Tempon an: Es sind Wolkenformationen aufgetaucht, die ihr Sorgen machen. So erklimmen wir in einem Affenzahn den letzten Gipfel unserer Reise, den Velika Zelnarica. Von dort haben wir einen großartigen Blick ins Tal der sieben Seen und können weit unten ganz deutlich den Pfad erkennen, den die „anderen“ nehmen. Diejenigen, die nicht wie wir zu echten Bergziegen geworden sind und diesen Gipfel umgehen. Sie verpassen dabei nicht nur die sagenhafte Aussicht von oben, sondern auch jede Menge Edelweiß, das hier in rauhen Mengen am Rand unseres Pfades steht – und unsere wiederholten Gesangseinlagen, denn inzwischen haben wir ein paar Lieder gefunden, die wir fast alle kennen … Vom Gipfel herunter queren wir noch ein paar kurze geröllige Stellen und sind dann schnell wieder an der Baumgrenze angelangt. Fast so klar wie auf der Landkarte kommt uns dieser Übergang wie mit dem Lineal gezogen vor. Wir sind ein bißchen wehmütig, daß wir die schönen weißen Felsen verlassen und unsere Tour sich dem Ende entgegen neigt. Nach gut siebeneinhalb Stunden (inklusive einer ausgedehnten Gipfel-Pause, die wir uns durch das flotte Tempo erarbeitet hatten) erreichen wir unser Ziel. Und der Regen kommt kurz nach uns an.
Heute ist es wirklich so weit: Der Weg führt uns abwärts, abwärts, abwärts hinunter ins Tal. Nach dem gestrigen Regen sind Wege, Steine und Wurzeln verdammt rutschig und es gibt Stimmen, die die heutige Etappe als anstrengendste von allen empfinden. Der märchenhafte Wald, durch den wir uns bewegen, erhält sicher nicht die Beachtung, die er verdient hätte: Es sind diverse steile Passagen zu überwinden und wir sind froh über jeden Pin, der unseren Händen und Füßen Halt gibt. Zudem ist auf der Route ganz schön viel los – und die teilweise nichtmal mäßig ausgerüsteten Wanderer treten Steine los, die in unsere Richtung den Hang hinunter rollen. Wir sind alle nochmal hochkonzentriert und kommen ohne Zwischenfälle im Tal an. Jetzt ist es nicht mehr weit bis zum versprochenen Bad im See. Wir sind aufgeregt und freuen uns wie eine Grundschulklasse. Und so stürzen wir uns dann auch ins erfrischende Nass und strecken unsere müden Knochen darin aus. Nach ausgiebigem Schwimmen, Plantschen und Fotos-machen, nehmen wir bei hochsommerlichem Wetter die letzten fünf Kilometer um den See in Angriff und freuen uns – fast noch mehr als über den Badesee – über die Kioske am Wegesrand, die eiskalte Getränke und Eis am Stiel zu bieten haben. Im Zielort Ribcev Laz angekommen, überbrücken wir die Wartezeit auf den Bus mit weiteren Zivilisationsfreuden und fallen in einem Café ein. An der Bushaltestelle zeigt die Zivilisation dann gleich ihr zweites Gesicht: mit hässlichen Worten und weit ausgefahrenen Ellenbogen wird um die Plätze im Bus gekämpft. Wir kommen alle rein und können sogar alle sitzen. Gut so, denn unser Tagesziel Bled begrüßt uns mit einem amtlichen Stau. Die schöne Unterkunft, die blitzsauberen Duschen und das gemeinsame Abendessen lassen den Stress aber vergessen. Und zum Abschluss eines fröhlichen Abends schwingen wir sogar noch kurz das Tanzbein.
Unser letzter gemeinsamer Tag beginnt spät: Erst um Viertel vor 9 versammeln wir uns an den Gartentischen unseres Appartements und staunen über die vielfältigen Köstlichkeiten aus unseren Frühstücksboxen: Saft, Milch, Müsli, Joghurt, Brot, Butter, Käse, Wurst, süße Teilchen … Und alles in hervorragender Qualität. Wir essen uns die Bäuche rund und schlendern etwas träge in den Ort. Da erwacht dann unser Tatendrang schnell wieder und jeder findet etwas zu tun: Ruderboot fahren, schwimmen, spazieren, shoppen, Stand Up Paddling … Die Zeit vergeht wie im Flug und schnell ist es 17 Uhr und Zeit, die Rückreise anzutreten. Bahn und Taxi bringen uns problemlos zurück zu unseren Autos. Und kurz vor 20 Uhr heißt es – mit vielen Umarmungen – Abschied nehmen. Wir sind uns sicher: Wir werden uns wiedersehen.