„Wo fahrt ihr nochmal hin?“ - hm, kennt irgendwie niemand, dieses kleine Fleckchen nahe des Atlantiks in Nordspanien. Der Nationalpark Picos de Europa beherbergt bis zu 2600 m hohe Berge auf einem relativ eng begrenzten Raum. Den frühen Seefahrern galten sie damals als gutes Erkennungszeichen für das Erreichen des europäischen Kontinents – daher stammt auch der Name.
In diesem Jahr wollte ich mit meiner Schwester Andrea eigentlich nochmal „was Größeres“ machen. Verschiedene Widrigkeiten hatten uns in den letzten Jahren zum Aufschieben gezwungen, tja, manchmal ist das so. Manche Träume können sich in solchen Zeiten auch durchaus verlagern und die hinzugekommene immer noch unsichere Lage aufgrund von Corona, Krieg und allgemeiner Teuerung macht die Reiseplanung nicht einfacher. Luxusprobleme? Ja, vielleicht.
So kam es, dass die Picos de Europa zwar immer schon auf unserer Liste standen, in diesem Jahr aber eigentlich Plan D (oder so....) waren. Also auf ins Unbekannte!
Ausgestattet mit einer kleinen Ferienwohnung in einem winzigen Kuhdorf an der Ostseite des Nationalparks und einem kleinen aber sehr tauglichen Mietwagen, waren wir frei in der Planung unserer Tagestouren. Den ersten Eindruck von den Picos gewannen wir bei einer Rundwanderung, die wir auf Empfehlung unserer Vermieterin angingen. Im sehr hübschen Bergdorf Mogrovejo stiefelten wir bei angenehmen Temperaturen los, um zunächst durch schönen Wald zu wandern. Hier war alles sehr grün; bald jedoch kamen wir dann an einen Bachlauf und es bot sich ein toller Blick auf die felsigen Berge, die uns sehr nah erschienen. Dennoch, die Runde nennt sich „Bajo los Picos“ (Unter den Picos), wir wähnen uns also immer noch am Fuß der hohen Berge. Nach weiterer aussichtsreicher Wanderung passierten wir zwei schmucke Dörfchen, bevor es zum Schluss nochmal ausgiebig bergauf und zurück nach Mogrovejo ging.
Zwei Tage später, nachdem es bedeckt und regnerisch gewesen war, sollte dann ein richtiger Bergtag sein. Hinauf, mitten hinein in die Picos de Europa. Dachten wir. Fast eine Dreiviertelstunde standen wir in einer Schlange an der Seilbahn von Fuente Dé an, die zur Bergstation El Cable fährt. Nur, um dann am Schalter zu erfahren, dass die nächste mögliche Fahrt nach oben erst um 13 Uhr verfügbar ist. Das wurde uns aber zu spät. Ich ärgerte mich sehr, denn das Wetter war heute perfekt mit strahlend blauem Himmel, Sonne und bester Sicht. Nun ja, wir machten das Beste draus und entschieden uns kurzerhand für eine Wanderung ab Fuente Dé. Und das stellte sich als die absolut richtige Entscheidung heraus. Ging es anfangs noch relativ unspektakulär durch den Wald, kamen bald darauf die ersten schönen Ausblicke. Der breite Weg führte immer bergauf, und das teilweise sehr steil. Doch er bot einen Panoramaweg, einen regelrechten Aussichtsbalkon. Die Hänge rechts und links des Wegs waren grün und mit gelben Blumenmatten gesprenkelt. Die Höhenmeter nahmen wir gern in Kauf bei dieser umwerfenden Aussicht.
Irgendwann sahen wir auf dem Hang uns gegenüber eine Alm mit einer kleinen Hütte. Dahin ging auch unser Weg, vorbei an Rinnsalen, durch Wald mit Pyrenäeneichen, und dann zu dieser kleinen Schäferhütte. Dort rasteten wir, aßen unser Picknick und genossen unsere Zeit – ganz alleine, ungestört, zwischen Felsen und Blumen. Der weitere Weg führte dann erstmals abwärts, zunächst steil bis zu einem Fluss, dann gemäßigt Kilometer um Kilometer bis zurück nach Fuente Dé.
Wenn ein Gebirge so nah an der Küste liegt, lohnt sich natürlich auch ein Ausflug dorthin. In unserem Fall zog es uns am nächsten Tag nach Pechòn, wo wir einen wunderschönen Strand besuchten, baden konnten und die herrliche Ruhe dort mit nur ganz wenigen Menschen teilen mussten.
Im Rother Wanderführer als absolutes Highlight angepriesen, aber von unserem Standort aus schwierig zu erreichen, ist die Cares Schlucht, die sich zwischen den Örtchen Poncebos und Caín de Valdeón erstreckt. Wir wollten die lange Anfahrt trotzdem in Kauf nehmen und wenigstens das spektakulärste Stück der Ruta del Cares erwandern. Also starteten wir schon früh mit unserem Mietwagen. 80 Kilometer sind ja eigentlich nicht viel... wenn man nicht den einen Pass rauf und wieder runter und den nächsten Pass rauf und wieder runter und den nächsten...... fahren muss. Da es in der Nacht ordentlich gewittert hatte, hingen immer wieder Wolkenfetzen zwischen den Bergen und vernebelten uns die Sicht. An der schön engen und kurvigen Straße lag das Tal unter den Wolken. Es lugten nur ein paar Bergspitzen hervor und dieser Anblick war fantastisch. Beim Übergang von der Region Kantabrien nach Kastilien-León änderte sich die Landschaft. Die grün bewachsenen Berge waren voller gelber Ginsterblumen, es blendete richtig. Schier endlos ging die Straße durch ein Tal und zog sich den nächsten Pass hoch. Einsamkeit. Kilometerweit kein Ort, kein anderes Auto, kein Mensch. Oben auf dem Pass dann ein Aussichtspunkt, der den vollen Blick auf die Picos de Europa bot. Weiter abwärts verließen wir dann die Straße und bogen auf den abenteuerlichen Weg nach Caín ein. Es ging immer noch einige Kilometer auf Achterbahnsträßchen, teils mit 20 % Steigung und Gefälle, teils so eng, dass wir dachten, wir wären auf einem verkappten Wanderweg gelandet. Bei alledem war es Andrea elend schlecht (was aber nicht an meinem Fahrstil lag!). Als wir dann tatsächlich in Caín ankamen und feststellten, dass es wirklich keinen anderen Zufahrtsweg zu diesem Ort gibt, fragten wir uns ernsthaft, wie diese Menschen hier leben, wo und was sie arbeiten, wo sie einkaufen und sich verpflegen.
Die tapfere Andrea raffte sich auf, überwand ihre Übelkeit und mit jedem Schritt ging es ihr besser (das kennen wir ja von ihr: während es anderen z.B. in großen Höhen immer schlechter und schlechter geht, fühlt sie sich ab 3500 m immer wohler). Das Wetter war uns hold und so liefen wir auf schmalen Wegen am Abgrund und durch einige Tunnel. Die Cares Schlucht wird auch die „Göttliche Schlucht“ genannt – nun ja, sie war schon sehr beeindruckend und bot uns bei schönem Sonnenschein tolle Aus- und Tiefblicke. Zurück in Caín gelang es uns zum ersten Mal, in einem Restaurant etwas vegetarisches zu essen. Das ist hier in der ganzen Gegend recht schwierig und wir waren froh, eine Ferienwohnung zu haben, in der wir selbst kochen konnten. Mit den Beilagen haben die Nordspanier es irgendwie auch nicht so: sowohl Salat als auch Fritten waren selten gelungen.
Es gruselte uns ein bisschen vor der Rückfahrt, insbesondere vor den engen Gässchen, bei denen uns bitte bitte niemand entgegen kommen sollte. Aber auch das brachten wir erfolgreich hinter uns.
Und am nächsten Tag gelang uns dann doch noch die Auffahrt mit der Seilbahn. Oben auf über 1800 m angekommen, erwartete uns ein sonniges Traumpanorama, an dem wir uns kaum sattsehen konnten. Eine lange Wanderung führte uns zunächst durch eine Felslandschaft hinauf auf einen Pass, um dann zu einem Refugio abzusteigen. Durch weitläufige Almlandschaft folgten wir dem Weg und erfreuten uns an den grasenden Kühen, Schafen und Glockenpferden (ja, auch die Pferde tragen hier Glocken!). Waren wir bis jetzt in einer klassischen alpinen Berglandschaft unterwegs, wechselte die Landschaft auf etwa 1350 m wieder einmal: jetzt schauten wir hinunter auf ein dicht bewaldetes Tal und folgten schmalen Pfaden. Diese verloren sich schließlich in einem Wald, sorgten für schweißtreibende Anstiege und führten uns allmählich wieder zurück in den Ort Fuente Dé. Glücklich, aber auch müde fuhren wir zurück in unsere Wohnung, wo es wiederum keine anderen Geräusche zu hören gab als Kuhglocken, Hundegebell und Vogelgezwitscher.
Der 15. Juni war unser Abreisetag – und zugleich der offizielle Beginn der Feriensaison in dieser Gegend. Diese Kombination hatte sich als Glücksgriff erwiesen, denn die ohnehin nicht übermäßig besuchte Region war somit sehr ruhig und einsam. Auf unseren Wanderungen trafen wir selten andere Menschen, außer natürlich an der Seilbahn und in der Cares Schlucht. Das Gebirge verfügt über einige wenige Hütten und kann auch auf einer anspruchsvollen Streckenwanderung durchquert werden. Der gesamte Nationalpark mit seiner abwechslungsreichen Landschaft und den schönen urigen Orten ist sehr sehenswert. Die Nähe zur Costa Verde mit ihren zahlreichen schönen Stränden und Buchten rundet den Bergurlaub ab.